Glutenfrei hier, glutenfrei da. Gefühlt gibt es in jedem Supermarkt mittlerweile einen eigenen Gang für glutenfreie Produkte. Und das, obwohl nur etwa 1% der Bevölkerung tatsächlich an Zöliakie leidet. Warum also der Hype? Und noch wichtiger: Solltest du wirklich auf Gluten verzichten?
Lass uns gemeinsam einen ehrlichen Blick auf dieses viel diskutierte Thema werfen.
Was ist Gluten überhaupt?
Bevor wir in die Tiefe gehen, klären wir erstmal die Basics. Gluten ist ein Protein, das natürlicherweise in verschiedenen Getreidesorten vorkommt. Du findest es vor allem in Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste.
Chemisch gesehen ist Gluten eigentlich ein Sammelbegriff für verschiedene Proteine, die sich zu einem elastischen Netzwerk verbinden, sobald sie mit Wasser in Kontakt kommen. Genau diese Eigenschaft macht Gluten so wertvoll beim Backen: Es sorgt dafür, dass dein Teig schön elastisch wird, Gase beim Gehen einschließt und am Ende ein luftiges Brot mit einer tollen Krume entsteht.
Ohne Gluten wäre das klassische Brot, wie wir es kennen und lieben, kaum möglich. Es ist sozusagen der natürliche Klebstoff im Teig.

Wer muss wirklich auf Gluten verzichten?
Jetzt kommen wir zum Kern der Sache: Für wen ist Gluten tatsächlich problematisch?
Zöliakie: Die einzige echte Glutenunverträglichkeit
Menschen mit Zöliakie müssen Gluten komplett meiden. Bei ihnen löst das Protein eine Autoimmunreaktion aus, bei der das Immunsystem die eigene Dünndarmschleimhaut angreift. Die Folgen können heftig sein: Nährstoffmangel, chronische Entzündungen, Bauchschmerzen und auf Dauer ernsthafte gesundheitliche Probleme.
Die gute Nachricht: Zöliakie lässt sich medizinisch eindeutig diagnostizieren. Studien zeigen, dass in Deutschland etwa 0,9% der Bevölkerung betroffen sind, wobei viele Fälle noch unentdeckt bleiben. Wenn du den Verdacht hast, lass dich bitte von einem Arzt untersuchen, bevor du Gluten aus deiner Ernährung streichst.
Weizenallergie: Selten, aber real
Manche Menschen reagieren allergisch auf Weizen, nicht speziell auf Gluten. Das ist wichtig zu verstehen, denn hier geht es um verschiedene Proteine im Weizen. Eine Weizenallergie äußert sich oft durch Hautreaktionen, Atembeschwerden oder Verdauungsprobleme direkt nach dem Verzehr.
Weizensensitivität: Die Grauzone
Dann gibt es noch die sogenannte Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität. Menschen mit dieser Diagnose vertragen Weizen schlecht, haben aber weder Zöliakie noch eine Allergie. Die Forschung ist hier noch am Rätseln, was genau die Beschwerden auslöst. Interessanterweise vertragen viele Betroffene traditionell hergestelltes Sauerteigbrot deutlich besser als industriell produziertes Brot.
Warum vertragen manche Menschen Sauerteigbrot besser?
Hier wird es spannend. Viele meiner Klienten berichten, dass sie zwar Probleme mit normalem Brot haben, Sauerteigbrot aber problemlos genießen können. Woran liegt das?
Bei der traditionellen Sauerteigführung passiert etwas Wunderbares: Die Milchsäurebakterien und Hefen haben Zeit, den Teig zu fermentieren. Diese lange Fermentation (idealerweise 12 bis 24 Stunden) baut einen Großteil des Glutens ab. Forschungen zeigen, dass bei einer Fermentationszeit von über 24 Stunden sogar über 90% des Glutens abgebaut werden können. Gleichzeitig werden auch sogenannte FODMAPs reduziert.
Was sind FODMAPs?
FODMAPs steht für „fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole“. Das sind kurzkettige Kohlenhydrate, die im Dünndarm schlecht aufgenommen werden und im Dickdarm von Bakterien fermentiert werden. Bei sensiblen Menschen kann das zu Blähungen, Bauchschmerzen und anderen Verdauungsbeschwerden führen. FODMAPs kommen natürlicherweise in vielen Lebensmitteln vor, auch in Weizen. Die lange Fermentation beim Sauerteig baut diese Stoffe ab, was das Brot deutlich bekömmlicher macht.
Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, schau gern in meinen Artikel über Sauerteigbrot. Dort erkläre ich ausführlich, warum diese traditionelle Backweise so bekömmlich ist.
Die Qualität des Getreides macht den Unterschied
Ein weiterer Punkt, der oft übersehen wird: Nicht alle Mehle sind gleich. Moderne Weizensorten wurden auf Ertrag und Backeigenschaften gezüchtet, was manchmal zu höheren Glutengehalten führt. Alte Getreidesorten wie Emmer, Einkorn oder Urdinkel enthalten oft weniger Gluten und andere Proteinstrukturen.
Auch die Verarbeitung spielt eine Rolle. Vollkornmehle enthalten mehr Ballaststoffe und Nährstoffe, die die Verdauung unterstützen können. In meinem Artikel über verschiedene Mehlsorten gehe ich detaillierter auf diese Unterschiede ein.
Der Nocebo-Effekt: Wenn die Erwartung krank macht
Hier wird es psychologisch interessant. Eine aktuelle Studie aus 2024, veröffentlicht in The Lancet Gastroenterology & Hepatology, hat etwas Erstaunliches herausgefunden: Menschen mit selbst berichteter Glutensensitivität entwickelten die stärksten Beschwerden, wenn sie dachten, sie würden Gluten essen, unabhängig davon, ob tatsächlich Gluten im Essen war.
Die Forscher teilten 83 Teilnehmer in vier Gruppen ein: Manche bekamen glutenfreies Brot und wussten das auch, andere bekamen glutenfreies Brot, dachten aber es wäre glutenhaltig. Das Ergebnis: Die Erwartung hatte einen größeren Einfluss auf die Symptome als das tatsächliche Vorhandensein von Gluten.
Das heißt nicht, dass ihre Beschwerden eingebildet sind. Aber es zeigt, wie stark unsere Erwartungshaltung unsere körperlichen Reaktionen beeinflussen kann. Vielleicht ist es also nicht immer das Gluten selbst, sondern die Art, wie wir Lebensmittel herstellen, konsumieren und wahrnehmen.
Ist glutenfrei automatisch gesünder?
Kurze Antwort: Nein.
Viele glutenfreie Fertigprodukte enthalten mehr Zucker, Fett und Zusatzstoffe als ihre glutenhaltigen Pendants, damit sie geschmacklich mithalten können. Sie sind oft nährstoffärmer und enthalten weniger Ballaststoffe.
Wenn du keine medizinische Notwendigkeit hast, auf Gluten zu verzichten, bringt dir eine glutenfreie Ernährung keine gesundheitlichen Vorteile. Im Gegenteil: Du könntest wichtige Nährstoffe verpassen, die in Vollkornprodukten stecken.
Mein Rat als Ernährungsberaterin
Wenn du vermutest, dass du Gluten nicht gut verträgst, geh bitte zuerst zum Arzt und lass dich auf Zöliakie testen. Das geht nur zuverlässig, wenn du noch Gluten isst.
Falls keine Zöliakie vorliegt, aber trotzdem Beschwerden bestehen, probiere folgendes:
Qualität vor Quantität: Setze auf hochwertiges, handwerklich hergestelltes Brot statt auf Industrieware. Traditionelles Sauerteigbrot aus alten Getreidesorten ist oft deutlich bekömmlicher.
Achte auf die Menge: Manchmal ist es nicht das Gluten selbst, sondern die Tatsache, dass wir zu viele Weizenprodukte essen. Drei Mahlzeiten am Tag mit Brot, Pasta und Keksen überfordern jeden Darm.
Vielfalt ist Trumpf: Integriere verschiedene Getreidesorten in deine Ernährung. Hafer, Reis, Hirse, Quinoa und Buchweizen bringen Abwechslung und unterschiedliche Nährstoffe auf deinen Teller.
Hör auf deinen Körper: Wenn du nach dem Verzehr bestimmter Produkte regelmäßig Beschwerden hast, nimm das ernst. Aber verlasse dich nicht nur auf dein Bauchgefühl, sondern lass es medizinisch abklären.
Das Fazit: Gluten ist nicht der Bösewicht
Gluten ist für die allermeisten Menschen völlig unbedenklich. Es ist ein natürlicher Bestandteil vieler Getreidesorten und macht traditionelles Brot erst möglich.
Das Problem liegt oft woanders: in der industriellen Herstellung mit kurzen Gehzeiten, in minderwertigen Zutaten, in Zusatzstoffen und in unserer oft einseitigen Ernährung.
Statt blind dem glutenfreien Trend zu folgen, lohnt es sich, auf Qualität zu setzen. Kauf beim Bäcker deines Vertrauens, probiere Sauerteigbrot aus, experimentiere mit verschiedenen Getreidesorten und nimm dir Zeit zum Essen.
Dein Körper wird dir danken. Und das ganz ohne teure glutenfreie Spezialprodukte.
Du bist unsicher, ob deine Ernährung zu dir passt, oder möchtest deine Verdauungsbeschwerden endlich in den Griff bekommen? In meiner ganzheitlichen Ernährungsberatung schauen wir gemeinsam, was dein Körper wirklich braucht. Mit individuellen Lösungen, die zu deinem Alltag passen. Buche jetzt dein kostenloses Erstgespräch und lass uns herausfinden, wie ich dich unterstützen kann.
Hast du Erfahrungen mit Gluten gemacht? Oder Fragen zum Thema? Schreib mir gern in den Kommentaren.
Quellen:
- Laass MW et al. (2015): Zöliakieprävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 112(33-34):553-60
- de Graaf MCG et al. (2024): The effect of expectancy versus actual gluten intake on symptoms in non-coeliac gluten sensitivity. Lancet Gastroenterol Hepatol 9(2):110-123
- Huang X et al. (2020): Sourdough Fermentation Degrades Wheat Alpha-Amylase/Trypsin Inhibitor and Reduces Pro-Inflammatory Activity. Foods 9(7):943
- Zentrum der Gesundheit (2024): Sauerteig – Die Vorteile von Sauerteigbrot


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